Das „Mommele“

Wenn wir an die Pfalz und ihre typischen Merkmale denken, dann fällt ein Begriff immer wieder: die Lewwerworscht. Und auch Dagmar Voigtländer hat in ihrer Kindheit und Jugend viel Zeit in der Pfalz verbracht. Dazu ist ihr eine Geschichte über ihre Urgroßmutter eingefallen. (Anmerkung von Sabine Veit)

Wenn Ihnen auch eine Geschichte einfällt, wenden Sie sich gerne an das Seniorenc@fé.

Meine Uroma war eine wundervoll warmherzige, intelligente und für ihre Generation überraschend moderne und selbständige Frau. Heute würde man sie emanzipiert nennen, aber das musste sie auch sein, denn nach dem frühen Tod meines Urgroßvaters hat sie ihre fünf Kinder alleine groß gezogen. Vom ersten Augenblick an war sie für mich immer nur  liebevoll das „ Mommele“. Für Menschen, die unseren Dialekt nicht sprechen, die „Momme“ ist einfach nur die Mama und das „Mommele“ ist das Mammale, sozusagen die kleine Mama. Sie sah aus, wie die Oma aus dem Bilderbuch. Ihre langen,weißen Haare hatte sie zu einem Dutt gebunden. Ich erinnere mich an blitzende braune Augen, kleine Grübchen und ein warmes Lächeln. Ihre Wangen waren auch ohne jede Schminke immer zartrosa. Sie war rund, aber nicht dick und nicht besonders groß.

Mein Schulweg führte mich jeden Tag am kleinen Siedlungshaus meiner Uroma vorbei. Oft war sie schon am Morgen im Garten und winkte mir zu, wenn ich vorbei kam. Eines Tages kam ich ziemlich traurig und wütend aus der Schule zurück. Zwei Jungs hatten mich gehänselt und das musste ich sofort jemand erzählen! Zu Hause und Mama waren aber noch ein Stück weit weg, also bog ich einfach in den Hof beim „Mommele“ ab.

Sie empfing mich in ihrer kleinen Küche, sah mich an und fasste das Häufchen Elend das sie sah treffend zusammen  mit „ hawwe se dich geäjert  (haben sie dich geärgert)?“ Da gab es erst mal kein Halten mehr, der Frust musste raus und ein paar Tränen flossen. „Momme“ hörte zu, es gab ein Taschentuch und nach dem ich mich ausgiebig geschnäuzt hatte, wurde mir gelassen gesagt, „Jungs seien halt so“. Danach kam gleich die Frage, ob ich denn schon „Kaffee getrunken hätte“. Dazu muss man wissen, dass man unter „Kaffee trinken“ in meiner Familie  jegliches Frühstück versteht, also das erste und das zweite und vielleicht eine Brotzeit zwischendurch und sowieso den Nachmittagskaffee. „Momme“ erklärte mir, sie würde sowieso jeden Tag um die Zeit , es war gegen 11, eine kleine Pause machen. Dazu gäbe es eine gute Tasse Bohnenkaffee. Außerdem hätte sie auch noch was „Gudes zu esse“.

Flink verschwand sie in ihrem Schlafzimmer und kam mit einem Leinensack und einem abgedeckten kleinen Teller wieder. Sie stellte beides auf den Tisch und setzte Wasser auf. Dann schnappte sie sich ihre Kaffeemühle, gab eine Hand voll frische Bohnen hinein, klemmte sich die Mühle zwischen ihre Knie und mit 5 oder 6 kräftigen Umdrehungen der Kurbel, „net zu schnell und net zu langsam“ wie sie betonte mahlte sie die Bohnen zu einem Kaffeepulver, das in einer kleinen Schublade am unteren Ende der Mühle landete. Ich durfte die kleine Lade öffnen und der köstlich, herbe Duft von frisch gemahlenem Kaffee strömte mir entgegen. „Momme“ zeigte mir, wie man einen Kaffeefilter faltet und stolz wie „Bolle“ schüttete ich das Kaffeemehl in den Filter. Sie gab noch eine kleine Prise Salz und eine Löffelspitze Kakao zum Kaffeemehl hinzu. Als der Kessel pfiff, wurde der Filter mit heißem Wasser übergossen. Hatte es vorher schon wundervoll gerochen, dann duftete die kleine Küche nun nach einer Mischung aus herber Schokolade, Kirschen und Herbstblättern. 

Ich hatte bisher noch nie richtigen Kaffee trinken dürfen, für Kinder gab es Malzkaffee, den ich nicht besonders leiden konnte. Wie selbstverständlich stellte „Momme“ mir eine Tasse auf den Tisch, füllte eine ordentliche  Menge Kondensmilch hinein und goss das Ganze mit dem frisch gebrühten Kaffee auf. Zwei Stückchen Zucker wanderten dazu und ich durfte vorsichtig umrühren.

Aus dem Leinensäckchen zauberte meine Uroma einen Kanten Brot und schnitt mit lange geübten Handgriffen zwei schöne Scheiben ab. Dann wurde der kleine Teller  abgedeckt, darunter befand sich ein Stück Leberwurst, „Hausmacher“ nannte man das. Liebevoll bestrich sie mir das Stück Brot , gab es mir in die Hand und sagte schmunzelnd „ so jetzt essen wir was und dann trinkst du deinen Kaffee dazu„. Ein kräftiger Biss ins Leberwurstbrot, ein vorsichtiger Schluck heißer süßer Kaffee hinterher und meine Welt war im Lot. Ich fühlte mich ernst genommen, geliebt, getröstet und beruhigt.

Noch heute hat der Duft von frisch gebrühtem Kaffee für mich etwas heimeliges und friedliches. Es ist, wenn es so etwas gibt, „geschnupperte“ Harmonie. Ich koche meinen Kaffee immer noch so, wie ich es damals gelernt habe und ab und zu muss es dann auch ein Leberwurstbrot dazu sein. Und manchmal wenn ich die Augen schließe, bringt mich der Geruch zurück in die kleine Küche. Dann sehe ich meine „Momme“ da sitzen, sie lächelt verschmitzt. Vielleicht freut sie sich, dass ihre Urenkelin es genau wie sie geschafft hat, die kleinen schönen Momente des Lebens zu genießen.

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