Ein alter Mann saß frustriert vor dem Fenster seines kleinen Hauses in einer kleinen Gemeinde und schaute auf den Gehweg, auf dem die Menschen hasteten, um in die Geschäfte zu kommen – nur auf der Suche nach passenden Geschenken. Es war Anfang Dezember und der erste Advent war schon vorbei. Herr Lamprecht war ein alter Mann von siebenundachtzig Jahren, der Rücken gebeugt von der schweren Arbeit. Er lebte schon einige Jahre allein in seinem kleinen Haus an der Hauptstraße.
Er dachte an die Zeit zurück, als seine Frau noch gelebt hatte, und an die schönen, gemütlichen Weihnachtsfeste, die sie zusammen verlebt hatten. Doch in diesem, wie auch in den zurückliegenden Jahren nach dem Tod seiner Erna, verlief ein Weihnachtsfest genauso trostlos wie das andere. Noch nicht einmal ein Weihnachtsgesteck oder Adventskranz wies auf das kommende Fest hin.
Lustlos schaute er auf die Straßen. Keine einzige Schneeflocke war zu sehen. Das Einzige, was auf das kommende Fest hinwies, waren die mit Lichtern geschmückten Häuser und die Weihnachtsbeleuchtung, welche über die Straße gespannt war. Sein Haus stach durch die fehlende Beleuchtung hervor.
Er sinnierte darüber, was das Fest für ihn ausmachte: Weihnachtslieder singen in Erwartung des Christuskindes, Zeit zu haben für seine Mitmenschen und für eine gemütliche Unterhaltung – vielleicht mit einem heißen Glühwein. All dies schienen die Menschen nicht mehr als wichtig zu erachten.
Kurz entschlossen trat er vom Fenster zurück und setzte sich an seinen Schreibtisch. Er setzte seine Brille auf und machte die Lampe an, damit er besser sehen konnte. Er nahm einen Schreibblock aus der Schreibtischschublade und seinen Füller aus dem Behälter, der auf dem Schreibtisch stand, und fing an zu schreiben. Ein letztes Mal wollte er noch einen Brief an den Weihnachtsmann verfassen. Er wusste wohl, dass dieser Brief nie den Weihnachtsmann erreichen würde, aber so konnte er sich einen kleinen Teil seines Frustes vielleicht von der Seele schreiben. Mit großen Buchstaben fing er an, in einer immer noch schönen Handschrift, auf das Blatt zu schreiben: „Lieber Weihnachtsmann, dies wird wohl mein letzter Wunsch an dich werden.“ Nun hielt er inne. Er überlegte, wie er wohl fortfahren könnte, und während er überlegte, schob er sich das Ende seines Füllers zwischen die noch verbliebenen Zähne und kaute darauf herum – so wie er es bereits als Kind getan hatte.
Dann fing er an zu schreiben, und auf seinem Briefpapier war die Fortsetzung zu lesen: „Weißt du, Geschenke brauche ich keine mehr. Die Schränke sind voll, meine Hände müde. Das Einzige, was ich mir wünsche, ist Zeit. Zeit für die Menschen untereinander und ein bisschen Zeit auch für mich. Zeit für ein Gespräch unter Nachbarn und Freunden. Zeit für ein Lächeln, das mit Warmherzigkeit gezeigt wird. Gerne würde ich auch wieder einmal Weihnachtslieder mit netten Menschen singen und dabei selbst gebackene Plätzchen essen. All dies würde mir reichen. Wenn nur ein kleiner Teil davon in Erfüllung gehen würde, wäre ich mehr als zufrieden. Alles Liebe, dein Emil Lamprecht“

Er las den Brief nochmals durch, nickte dabei, als wolle er sich selbst zustimmen, das Richtige zu Papier gebracht zu haben. Dann faltete er mit seinen alten, zittrigen Händen den Brief zusammen und steckte ihn in einen Briefumschlag. Mit der Zunge fuhr er über die Gummierung und klebte ihn zu. Im Anschluss legte er den Brief, ohne Adresse, auf die Fensterbank und legte sich schlafen.
Am kommenden Morgen, als er sich gerade sein Frühstück zubereitete, klingelte es an der Haustür. „Nanu“, dachte er, „wer kommt denn da so früh?“ Der Postbote? Wer sollte ihm wohl schreiben? Neugierig geworden ging er nachschauen und war sehr erstaunt, eine junge Frau vor sich zu sehen.
Sie lächelte ihn an und erklärte: „Ich bin die Nachbarin von gegenüber“, und hielt ihm einen Teller hin, gefüllt mit Weihnachtsplätzchen. Dann sagte sie: „Ich habe erfahren, dass Sie alleine leben, und ich hoffe, Ihnen mit diesen Plätzchen etwas Weihnachtsfreude vermitteln zu können.“
Nun wurden die Augen von Herrn Lamprecht doch etwas feucht. Damit hatte er nicht gerechnet. Er bedankte sich, als sie sich unvermittelt zu ihm umwandte, bevor sie gehen wollte, und fragte: „Herr Lamprecht, ich habe Ihren Namen am Briefkasten gelesen.“ Fügte sie ergänzend hinzu, als er sie fragend anblickte, als wolle er sagen „Woher kennen Sie meinen Namen?“: „Was ich Sie noch fragen wollte: Am kommenden Sonntag gibt der ansässige Chor ein Weihnachtskonzert in der Kirche. Möchten Sie uns begleiten? Wir würden Sie abholen und mit Ihnen zur Kirche fahren.“
Ungläubig sah er sie an. Dann hatte sich diese Frage den Weg bis in sein Gehirn gebahnt. Ohne zu zögern stimmte er zu. Oh, wie gerne wollte er das! Sie machten noch die Uhrzeit aus, wann sie kommen würden. Dann lief sie leichtfüßig über die Straße und winkte ihm nochmals von der gegenüberliegenden Seite lächelnd zu. Beschwingt, soweit es seine Beine zuließen, ging er zurück in die Küche. Dort konnte man ihn lächelnd vor seiner Kaffeetasse sitzen sehen.
Doch die Überraschungen sollten an diesem Tag noch nicht vorbei sein. Am Nachmittag klingelte sein Telefon. Schon lange hatte er keinen Anruf mehr gehabt. Etwas verdattert nahm er den Hörer ab und stammelte mehr schlecht als recht seinen Namen hinein. Aus dem Hörer kam eine etwas knarrende und ungewohnte Stimme eines älteren Mannes. Diese fragte, ob dies der Anschluss von Emil Lamprecht sei. Als er bejahte, meinte die Stimme: „Mein Gott, Emil, hier ist Josef Staller, dein ehemaliger Nachbar. Kannst du dich an mich erinnern?“ Emil musste nicht lange überlegen – es waren seine besten Freunde gewesen. Als jedoch die Ehefrau von Josef bettlägerig wurde, zogen sie zu ihrer Tochter in den Norden von Deutschland. Am Anfang hatten sie noch Kontakt, doch der schlief irgendwann ein.

Er musste wohl bei seinen Überlegungen etwas still gewesen sein, als die Stimme im Hörer rief: „Hallo Emil, bist du noch dran? Ich wollte dich nur fragen, ob wir uns mal wieder sehen könnten. Mein Heimweh hat mich wieder hierher getrieben. Da ich allein bin, wohne ich hier im Seniorenstift in der Schmalen Gasse.“ Emil wusste nicht, wie ihm geschah. Damit hatte er in seinen kühnsten Träumen nicht gerechnet. Dann hörte er noch die Stimme von Josef: „Eigentlich wollte ich dich fragen, ob du noch so mobil bist, dass du mich hier mal besuchen könntest. Ich habe erfahren, dass deine Erna auch nicht mehr da ist. Da habe ich mir gedacht, es wäre schön, wenn du vielleicht am Freitag bis um 12:00 Uhr hier sein könntest. Dann könnten wir zusammen das Mittagessen einnehmen und uns danach in mein Reich zurückziehen bis 14:00 Uhr. Danach gibt es eine kleine Adventsfeier hier in unserem Salon mit Weihnachtsmusik, einer kleinen Lesung mit Geschichten und Liedern zu Weihnachten und anschließendem Kaffeetrinken mit Kaffee und Kuchen. Was meinst du?“
Emil zog sich einen Stuhl heran, um sich darauf zu setzen. Die Überraschung hatte ihm sein Standvermögen geraubt. Als ihm allmählich klar wurde, was da geschehen war, konnte er nur noch antworten: „Josef, ich freue mich wahnsinnig. Wenn alle Stricke reißen, komme ich mit einem Taxi. Bis Freitag. Tschüss.“ Bevor er den Hörer auflegen konnte, hörte er nur noch ein belustigtes Lachen aus der Leitung, dann war sie tot.
Bevor er sich von seinem Stuhl erhob, ging ihm nur durch den Sinn: „Der Brief an den Weihnachtsmann liegt immer noch auf der Fensterbank. Vielleicht ist es ihm möglich, unsere Wünsche zu erraten. Allmählich glaube ich alter Kerl wieder an den Weihnachtsmann. Alle meine Wünsche wurden mir auf wundersame Weise erfüllt.“
Lächelnd sah er auf das Bild seiner Frau, welches auf der Kommode neben dem Fernseher stand, und sagte leise: „Liebe Erna, mein Mäuschen, ich glaube, dass du es warst und ein gutes Wort beim Weihnachtsmann für mich eingelegt hast. Danke. Ich verspreche dir fest, ich werde heute noch in die Stadt fahren und mir einen Adventskranz kaufen. Jetzt kann ich mich auch auf Weihnachten freuen.“
Schon eine Stunde später sah man ihn Richtung Zentrum laufen. Er wollte umgehend das Versprechen an seine Frau in die Tat umsetzen. Es wurde für ihn in diesem Jahr ein wunderschönes Weihnachtsfest. Aber was besonders schön war: Er war nicht mehr allein. Ein alter Freund hatte den Weg zu ihm gefunden.
