Wie viele andere bin ich übergewichtig. Täglich erlebe ich Body Blaming – diese Schuldzuweisungen von anderen, manchmal sogar von Ärzten, obwohl hormonelle Gründe vorliegen. Das Ergebnis: man schämt sich am Ende dafür, nicht ins gesellschaftliche Schema zu passen – obwohl wahrscheinlich fast niemand in dieses Schema passt.
Aber nun zu Cass Elliot
Sie wissen nicht, wer das ist? Kennen Sie „California Dreamin'“ von The Mamas & The Papas? Diese warme, kraftvolle Stimme, die mühelos durch die Harmonien schwebt? Das war Cass Elliot. Nicht Michelle Phillips, die blonde Schönheit der Gruppe. Nicht John Phillips, der Bandleader. Es war die „dicke Frau“ – wie sie selbst sich manchmal nannte, mit diesem ironischen Lächeln, das ihre Verletzung zu verbergen suchte. Ich habe hier ein Video von einem ihrer größten Hits angefügt, „Dream a little dream of me“. Die Stimme kennt jeder, oder?
Ellen Naomi Cohen wurde 1941 in Baltimore geboren, in eine jüdische Familie russischer Einwanderer. Schon als Kind war sie übergewichtig, wurde als „fatty“ gehänselt und trug diese Narben ihr ganzes Leben lang. Aber sie hatte etwas, was die anderen nicht hatten: einen IQ von 165 und eine Stimme, die Herzen zum Schmelzen bringen konnte, unter anderem meines.
Ursprünglich träumte sie vom Broadway. Aber dort waren die Rollen für jemanden wie sie begrenzt. Also ging sie nach Greenwich Village, ins Zentrum der Folkmusik-Szene der frühen 60er Jahre.
Der Kampf um Anerkennung
Als John Phillips The Mamas & The Papas zusammenstellte, wollte er Cass zunächst nicht in der Gruppe haben. Er begründete das mit falschen und lächerlichen Behauptungen – ihre Augen seien zu nah beieinander oder sie hätte nicht die richtige Stimmlage. In Wirklichkeit, spekulieren viele, mochte er einfach nicht, dass sie übergewichtig war. Aber Cass ließ sich nicht abweisen. Sie musste sich ihren Weg in die Gruppe erkämpfen – als Letzte, die gefragt wurde, und als die Unwahrscheinlichste. Und dann wurden sie über Nacht berühmt.
1967 schrieb das New York Magazine über Cass: „Sie ist ein Star, nicht trotz ihres Gewichts oder wegen ihres Gewichts, sondern jenseits davon. Cass ist ein Horizont.“ Das war eine revolutionäre Aussage in einer Zeit, in der eine übergewichtige, unschöne weibliche Pop-Sängerin nicht existieren sollte – besonders nicht neben der „schönsten, dünnsten Blondine der ganzen Unterhaltungsbranche“.
Aber die Fans liebten Mama Cass. Sie war unverfroren kokett und urkomisch, bezauberte das Publikum bei ihren Auftritten, als würde sie nur für sie singen. Sie wurde zur „Königin der Los Angeles Pop Society“, wie der Rolling Stone sie nannte.
Der Preis des Erfolgs
Hinter der strahlenden Fassade litt Cass. Ihre Tochter Owen erklärt: „Nach den Auftritten der Mamas and Papas in der Carnegie Hall oder der Hollywood Bowl kam sie allein nach Hause, während alle anderen einen Partner hatten.“ In schwierigen Zeiten ihrer Karriere nahm sie Auftritte in Fernsehshows an, wo ihr Gewicht zum Gegenstand billiger Witze wurde. Das war eine Tatsache des Lebens zu jener Zeit. Und es zermürbte sie. Wie so viele Frauen vor und nach ihr, kämpfte sie ständig mit ihrem Gewicht – Diäten, Gewichtsverlust und unvermeidlich alles wieder zunehmend. Sie fastete tagelang und verlor mehr als 45 Kilogramm – aber brach vor einem Auftritt in der Tonight Show zusammen.
Am 29. Juli 1974, im Alter von nur 32 Jahren, starb Cass Elliott in ihrer Londoner Wohnung an Herzversagen. Sie hatte gerade eine triumphale zweiwöchige Show im London Palladium beendet. Nach der letzten Vorstellung rief sie Michelle Phillips an und erzählte ihr, dass sie standing ovations erhalten hatte. Michelle glaubte, das war ihre Art zu sagen, dass sie sich endlich von ihrer alten Band befreit hatte.
Was bleibt
2023 ging Cass‘ Song „Make Your Own Kind of Music“ auf TikTok viral – in über 46.000 Videos mit mehr als 31 Millionen Aufrufen. Eine neue Generation entdeckt diese außergewöhnliche Stimme. Aber stellen Sie sich vor, wie anders ihre Geschichte gewesen wäre, wenn wir als Gesellschaft nicht so besessen von Frauenkörpern wären. Wenn Cass Elliott einfach als das hätte gesehen werden können, was sie war: eine der größten Stimmen ihrer Generation. Punkt.
Was wir von Cass lernen können
Heute, wenn wir „California Dreamin'“ hören, sollten wir nicht nur die Musik feiern. Wir sollten uns daran erinnern, dass hinter dieser wundervollen Stimme eine Frau stand, die für das Recht kämpfte, einfach sie selbst zu sein – in einem Körper, den die Welt nicht akzeptieren wollte. Und wir sollten uns fragen: Wie oft reduzieren wir Frauen noch immer auf ihr Äußeres? Wie oft übersehen wir ihre Talente, ihre Leistungen, ihre Stimmen – weil wir zu beschäftigt damit sind, ihre Körper zu beurteilen?
Wir haben uns seit 1974 weniger entwickelt, als wir glauben möchten.