Eingeschlossen auf der Toilette – eine ganz normale Katastrophe

Eigentlich ist diese Episode nichts Besonderes. Dennoch sticht sie hervor – nämlich dadurch, dass ich in meinem inzwischen über ein dreiviertel Jahrhundert dauernden Leben schon dreimal auf einer Toilette eingesperrt war, ohne eine Möglichkeit, mich selbst zu befreien. Das hat mich dazu gebracht, seitdem keine fremde Toilette mehr ohne Handy zu betreten. So bleibt mir wenigstens die Chance, jemanden im Notfall zu erreichen.

Diese Geschichte ereignete sich in einer Zeit, als ich mal wieder versuchte, meinen überflüssigen Kilos den Kampf anzusagen – diesmal mithilfe von Weight Watchers. Ich denke, der Name ist den meisten ein Begriff. In jener Phase hatte ich sogar das Glück, die Schreibarbeiten für unseren Coach zu übernehmen. Die vorherige Schreibkraft war wegen Mutterschutz ausgefallen, und als gefragt wurde, wer einspringen wolle, meldete ich mich blitzschnell. Ein echter Glücksgriff, denn so musste ich keine Kursgebühr zahlen.

Unsere Gruppentreffen fanden in einem Gebäude einer bekannten Hilfsorganisation statt – zweistöckig, mit der Toilette im Obergeschoss. Wegen Bauarbeiten war dieses Stockwerk zu jener Zeit nur über eine Außentreppe erreichbar. An einem der Abende, während die erste Gruppe gerade mit guten Ratschlägen versorgt wurde, musste ich dringend zur Toilette. Ganz leise und unauffällig verließ ich den Raum. Es dauerte nicht lange, bis ich mich meines „Ballastes“ entledigt hatte – und dann wollte ich wieder raus.

Doch der Schlüssel wollte nicht mehr mitspielen. Ich drehte – nichts. Egal wie vorsichtig, wie beherzt oder wie verzweifelt ich es versuchte: Das Schloss zeigte keinerlei Reaktion. Ich saß fest. Anfangs fand ich es ja noch witzig – man kommt sich schließlich wie in einem schlechten Film vor. Aber als 15 Minuten vergingen, ohne dass jemand nach mir schaute, begann ich mir Sorgen zu machen.

Was wäre, wenn mich niemand vermisste? Ich würde eingesperrt im Haus zurückbleiben. Eine Horrorvorstellung. Ich klopfte, rief, trampelte. Keine Reaktion. Meine Nervosität stieg, zusammen mit meinem Puls.

Dann die Idee: Fenster öffnen und aufs Dach klettern. Vielleicht kann ich ja von dort auf mich aufmerksam machen? Doch auch diese Option zerschlug sich schnell. Klar, ich käme aufs Dach – aber ob mich jemand dort bemerken würde, sehr fraglich. Und wenn nicht? Dann sitze ich die ganze Nacht da oben fest und hoffe, dass mich der Wettergott gnädig behandelt.

Also blieb ich in der Toilette und rief weiter um Hilfe, während mir langsam die Tränen kamen. Nicht aus Schmerz oder Angst – eher aus Selbstmitleid. Dann hörte ich draußen plötzlich Schritte. Eine unsichere oder vielleicht auch ängstliche Männerstimme fragte:

„Hallo? Ist da jemand drin?“ Ich rief erleichtert: „Ja! Ich bin hier drin – ich komm nicht raus!“ „Oh… äh… wie jetzt? Die Tür geht nicht auf?“ Nein, ich sitze hier nur aus Spaß auf dem Klo und schrei ein bisschen rum, dachte ich. Aber ich blieb höflich: „Der Schlüssel lässt sich nicht mehr drehen. Irgendwas klemmt. Ich bin eingeschlossen.“ Kurze Pause. Dann: „Hm. Komisch. Haben Sie schon versucht, ihn andersrum zu drehen?“ Ich atmete tief durch. „Mehrfach sogar, „ Um sarkastisch hinzu zufügen „ich dachte, ich probier’s erst mal mit Telekinese. Hat auch nichts gebracht.“ „Ach so… ja, das ist blöd.“ Ach was, dachte ich. Ein echter Sherlock Holmes. „Könnten Sie bitte Hilfe holen? Vielleicht den Hausmeister oder jemanden vom Weight Watchers-Kurs unten?“ „Ja… also… ich bin eigentlich nur zufällig hier. Ich hab da gar nichts mit zu tun.“ „Das macht nichts. „Sie müssen nichts reparieren – nur verhindern, dass ich hier alt werde.“ Einfach nur jemandem Bescheid sagen.“ „Okay… äh… ich schau mal. Vielleicht finde ich jemanden.“ „Das wäre sehr nett. Und bitte nicht vergessen, dass ich hier oben sitze. Ich bin nicht besonders mobil gerade.“

Ich hörte, wie er sich entfernte. Mein Vertrauen in seine Rettungskompetenz war… sagen wir mal: stark begrenzt. Aber die Hoffnung stirbst bekanntlich zuletzt. Ich stellte mir vor, wie er unten an der Tür stand, sich verlegen am Kopf kratzte und überlegte, ob das jetzt wirklich sein Problem war. Vielleicht holte er sich erstmal ’ne Cola.

Nach ein paar Minuten, die sich wie eine halbe Ewigkeit anfühlten, hörte ich wieder Schritte. Die Stimme war zurück: „Also… ich hab da jetzt mal geguckt. Da ist so ein Raum, aber ich wusste nicht, ob ich da einfach reingehen kann.“ „Doch, bitte! Da drin ist die Kursleiterin. Sagen Sie ihr einfach, dass ich oben festsitze. Sie kennt mich. Sie wird wissen, was zu tun ist.“ „Okay… ich versuch’s nochmal. Vielleicht ist ja jemand da.“ „Ich bin sicher, dass jemand da ist.“ Um leicht hysterisch hinzuzufügen“ Und ich bin sicher, dass ich nicht die Nacht hier verbringen möchte.“

Er ging wieder. Ich schwankte zwischen der Hoffnung, dass er jemanden findet – und dem brennenden Wunsch, die Tür mit einem gezielten Tritt aus dem Rahmen zu treten. Für einen Moment spielte ich mit dem Gedanken, aus Klopapier ein Notfallbanner zu basteln und es aus dem Fenster zu hängen. Vielleicht mit der Aufschrift: „Hier sitzt ein Mensch fest. Und er möchte einfach nur raus. Bitte. Schnell.“

Doch kaum hatte ich mir das Szenario ausgemalt, überkamen mich massive Zweifel. Mit meinen dünnen Sandalen – kaum mehr als zwei Stoffstreifen auf einer Gummisohle – würde ich die Tür vermutlich nicht einmal beeindrucken, geschweige denn aus den Angeln treten. Wahrscheinlich würde ich mir eher den großen Zeh brechen. Das mit dem Toilettenpapier würde auch nicht klappen. Denn wie es so ist wenn sie auf eine Toilette gehen, da haben sie ganz selten etwas zum Schreiben dabei.

Dann endlich hörte ich kräftige Schritte und eine andere Stimme – tiefer, entschlossener: „Hallo, Sie da drin! Gehen Sie bitte etwas von der Tür zurück. Ich versuche, sie zu öffnen.“ Endlich jemand mit einem Plan, dachte ich. Dann hörte ich vor der Tür jemand hantieren. Nach einem mehrfach missglückten Versuch mit einem Ersatzschlüssel wurde das Schloss ausgebaut. Der Schuldige war schnell gefunden: Der Bart des Schlüssels war im Schloss abgebrochen – da ging von außen nichts mehr.

Mit wackligen Schritten lief ich zurück in den Kursraum, halb erleichtert, halb erschöpft. Niemand hatte mein Fehlen bemerkt. Nur die Kursleiterin sah mich an. „Alles okay?“ „Ich war kurz auf Abenteuerreise. Toilette mit Escape-Funktion.“

Ich setzte mich wieder auf meinen Platz, versuchte, mich unauffällig in die Gruppe einzufügen. Die anderen redeten über Kalorien und Motivation. Ich dachte über Türschlösser und stille Panik nach.

Und während ich da saß, mit leicht zittrigen Knien und einem Rest Adrenalin im Blut, wurde mir klar: Das Leben ist manchmal wie eine öffentliche Toilette. Man geht rein, denkt, man hat alles im Griff – und plötzlich steckt man fest. Aber wenn man laut genug ruft, kommt vielleicht jemand vorbei. Und wenn man ganz viel Glück hat, bringt er sogar Hilfe mit.

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