Als Kind hatten die Menschen in meinem Leben klare Rollen. Wir Kinder mit unserem grenzenlosen Staunen, die Erwachsenen mit ihrer fürsorglichen Autorität, und dann die alten Menschen, Personen wie meine Oma, die mich mit ihren Geschichten fesselte. Altersunterschiede schienen wie unüberwindbare Distanzen, geprägt von mysteriösen Verwandlungen, die mich eines Tages in die Rolle des Erwachsenen, und irgendwann, in ferner Zukunft, in die Welt der Alten befördern würden.

Ich dachte, Erwachsensein bedeutet, alles im Griff zu haben. Und Altsein? Altsein bedeutete, weise zu sein, vielleicht ein wenig abgehoben von den täglichen Sorgen. Aber das Leben hat mich eines Besseren belehrt. Mein Spiegelbild zeigt die unaufhaltsame Zeit, die grauen Haare, und in meinen Gedanken und Gefühlen finde ich mich selbst nicht grundlegend verändert, sondern erweitert durch das Erlebte. Ich bin immer noch ich, auch wenn die Jahre voranschreiten.
Die Frage der Würde ist dabei nicht bloß rhetorischer Natur. Der Respekt, den ich als Mensch erwarte und verdiene, ist mir nicht weniger wichtig geworden, nur weil ich älter bin. Doch allzu oft fühle ich, wie die Würde meiner Altersgenossen und mir selbst auf leisen Sohlen davonschleicht, in kleinen Gesten und unbemerkten Entscheidungen, die über unsere Köpfe hinweg von jüngeren Leuten getroffen werden.
Die Idee, dass ich oder irgendjemand, den ich liebe, ein Leben in einem Pflegeheim fristen müsste, wo Individualität einem Einheitstrott weicht und wo die morgendliche Routine mehr Wert hat als ein individueller Wunsch – diese Idee bereitet mir Unbehagen. Schwindet meine Autonomie im gleichen Maße, wie die Falten auf meiner Haut zunehmen?

Und sogar in der Kultur, in Geschichten und Nachrichten, scheinen ältere Menschen nur Randfiguren zu sein. Liegt es daran, dass die Lebendigkeit und Komplexität unseres Seins hinter der sichtbaren Alterung verschwindet? Ich bin weit entfernt davon, nur „die Alte“ zu sein.
Die Gesellschaft sollte nicht vergessen: Wir, die Älteren, sind nicht plötzlich anders, nicht weniger menschlich, nicht weniger vital in unserem Denken und Fühlen. Wir sind gewanderte Pfade voller Erinnerungen, wertvoller Erfahrungen und gesammelter Weisheit, die wir gern teilen. Und ja, tief in meinem Herzen fühle ich mich so jugendlich wie damals, als ich über die Zukunft nachdachte.
Wir sollten uns alle daran erinnern: Würde verfällt nicht. Sie ist ein grundlegendes Anrecht, das uns bis zum letzten unserer Tage begleitet. Lassen wir uns darin bestärken, mit jedem Tag, den wir miteinander teilen, die Würde jedes einzelnen zu ehren – egal, wie viele Kerben das Lebensmaß schon zählt.
