Fast wie früher …

Sacht rieselten die Flocken zur Erde. Alles sah aus, als wäre es mit Puderzucker überzogen. Elfriede Köster stand am Fenster und sah sinnend dem Treiben zu. „Wie mit einem Leichentuch bedeckt“, hatte damals ihr Mann Herbert gesagt, als sie den letzten Winter zusammen erlebten. „Wie kannst du nur so reden“, erwiderte Elfriede. Doch fast könnte man glauben, er hätte es geahnt, denn nur ein paar Wochen später trug man ihn zum Friedhof.

Nun lebte Elfriede schon fünf Jahre allein hier im Senioren-Stift. Im Großen und Ganzen war sie zufrieden, fühlte sich in ihrer Wohnung mit den eigenen Möbeln sehr wohl und wurde – wenn nötig – bestens versorgt. Nur an manchen Tagen kam die Wehmut wieder auf. So auch heute – an Heiligabend! Sicher, die Feier hier im Hause am Nachmittag war schön gewesen, die Leiterin und auch das Personal hatten sich große Mühe gegeben. Alles war festlich hergerichtet und sogar kleine Geschenke wurden überreicht. Trotzdem überwältigten Elfriede die Erinnerungen. Sie setzte sich in einen Sessel und ließ den Gedanken freien Lauf.

Ihr Mann und sie hatten diesen Tag auf ihre Weise gefeiert. Herbert war für das Schmücken des Christbaumes zuständig, während sie in der Küche das Essen zubereitete. Nach einer kleinen Bescherung – große Geschenke gab es schon lange nicht mehr – machten sich beide auf den Weg zur Kirche, um die Christmette zu besuchen. Dies war immer ein schöner Abschluss am Heiligen Abend. Das war es auch, was Elfriede so vermisste. Da es mit dem Laufen nicht mehr so gut ging, konnte sie die Kirche zu Fuß nicht mehr erreichen.

Plötzlich klopfte es leise an ihrer Tür. Elfriede öffnete und vor ihr stand die Leiterin des Hauses. „Frau Köster, wenn Sie mit zur Kirche fahren möchten, holen wir Sie in einer halben Stunde ab“, sagte sie. „Gerne, vielen Dank“, gab Elfriede zur Antwort. Schnell machte sie sich zum Ausgehen fertig. In einem kleinen Bus wurden die Senioren zur Kirche gefahren, um an der Mette teilnehmen zu können. Ganz versunken war Elfriede in die Gestaltung des Gottesdienstes und nach Verlassen der Kirche strahlten sogar ihre Augen. In Gedanken war sie jedoch bei ihrem Mann Herbert und es kam ihr vor, als würde er zu ihr sagen: „Nun konntest Du diesen Tag fast genau so feiern, wie wir beide es getan haben“.

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