Se Leebdaach net!

Unser Redakteur Michael Behnke erzählt im Herbstwind 57, wie Opa Hannes seine Lebenskrisen gemeistert hat.

„Se Leebdaach net!“

Hannes schaut trotzig in das entsetzte Gesicht seiner Enkelin Lisa, die sich große Sorgen um ihren Opa macht. Es ist April 2020. Die erste Corona-Welle befindet sich auf dem Höhepunkt. Lisa erklärte gerade, dass ihr Großvater zuhause bleiben, sich oft die Hände waschen und Maske tragen soll. Dazu betont sie immer wieder, dass besonders die alten Menschen daran sterben. Hannes, der weder Radio, Fernsehen oder Zeitung hat, informiert sich über alles aus dem, was „die Leit so redde“.

„Ach was! Des stimmt doch alles net. Em Schorch sei Kleener kennt enner, der enner kennt, der hat gesaad, dass des bloß wie e Gripp is, mer net. Ich loss mich doch net verrickt mache. Die kenne mer all de Buckel runner rutsche! Do dran sterwe? Se Leebdaach net!“

Damit war für Hannes „de Kees gess“, wie wir Pfälzer sagen.

Hannes hat kurz vorher seinen 90. Geburtstag gefeiert und ist noch bei bester Gesundheit. Er ist nie wirklich aus seinem Dorf rausgekommen. Als man ihn gegen Kriegsende noch zum Soldaten hat machen wollen, versteckte ihn sein Vater im „Grumbeerkeller“.

„Die krien dich net. Se Leebdaach net!“

Hannes übernahm fortan diesen Spruch von seinem Vater, und er sollte Zeit seines Lebens die Art darstellen, wie er Krisen bewältigte, indem er immer zuerst heftigst widersprach, „iwwerzwerch halt, wie wir Pälzer saan.“

In den Fünfzigern hat er den Hof übernommen, geheiratet und drei Kinder bekommen. Als der Hof die Familie nicht mehr ernähren konnte, ging er in die Fabrik, hauptsächlich wegen der Rente und der Krankenversicherung. Nach Feierabend fand man Hannes auf den Wiesen und Äckern, die er weiterhin bestellte. Seine Frau kümmerte sich derweil um „drei Kieh, fünf Wutze un e paar Hinkel,“ Im Sommer nahm Hannes seinen Jahresurlaub, um die Ernte einzubringen. Verreist ist er nie, und im Betrieb hat er keinen einzigen Tag gefehlt. Nur am „Sunndaa werd nix geschafft!“ Da geht er in die Kirche und danach zum Frühschoppen in die „Wertschaft“. Dabei disputiert und löst er jedes Mal ausführlich mit seinen Kumpels alle Weltprobleme. In den Fünfzigern und Sechziger haben sie regelmäßig am Stammtisch den Krieg gewonnen. Danach die Landflucht, die Flurbereinigung, das Sterben der Höfe und der Geschäfte auf dem Dorf, die Schließung der Schule, der Poststelle und der Wegzug des Pfarrers und andere Krisen politisch einwandfrei auf die Reihe gekriegt. Die wahren Weltpolitiker sitzen nun mal auf dem Dorf. Awwer wie saad de Hannes immer:

„Uns froot jo kenner!“

Als vor zehn Jahren seine Frau starb und keins seiner Kinder den Hof haben wollte, verpachtete er sein Land und verkaufte sein Vieh. Er lebt nun allein auf seinem Hof. Das Essen wird täglich gebracht, und einmal in der Woche kommt die Erna, zum „Butze“. Da aber seine Kinder und Enkel in der Nähe leben, bekommt er häufig Besuch. Besonders seine fünf Enkel lieben es, die Geschichten vom Opa zu hören, wenn er von „sellemols, vum Kriech“, vunn de Amis und annere Kafruse“, von den Hungerjahren und vielem anderen erzählt. Manchmal spielen sie mit ihm auch „66“ oder Schafskopf. Beim Opa ist es nie langweilig auch ohne Radio, Fernseher oder Computer. Dass er nun während der Coronakrise so dickköpfig ist, ist einfach zum Heulen. 

„Se Leebdaach net!“, ist auch hier Hannes Standartspruch. Und er ist oft gut gefahren damit. Während der Kubakrise und nach dem Sechs-Tage-Krieg hatte er Recht: Es gab keinen Atomkrieg. Auch nach dem Ölpreisschock in den Siebzigern, als alle eine lange Rezession mit Millionen Arbeitslosen befürchteten, hatte Hannes Recht. Alles wurde gut. Später lag er dann öfter daneben. Als man ihm erzählte, die Mauer sei offen, glaubte er es nicht, und als er erfuhr, dass zwei Flugzeuge in New York in zwei Wolkenkratzer von Terroristen gelenkt wurde, lag er wieder daneben. Aber in 90 Lebensjahren hat ihm sein Krisenmanagement gute Dienste erwiesen. Er ist körperlich und geistig kerngesund, er trinkt täglich seinen Schoppen, und Medikamente hat er nie gebraucht, „e pälzer Urviech halt!“ –

„Ich geb noch long net de Leffel ab, des kann’sche mer glaabe!“

Lisa geht traurig und mit Tränen in den Augen nach Hause.

Drei Wochen danach kommt Hannes mit einer Corona-Infektion ins Krankenhaus und bald auf die Intensivstation, wo er künstlich beatmet wird. Acht Wochen später stirbt er – mutterseelenallein, weil niemand zu ihm durfte. „Se Leebdaach net!“ Diesmal hatte Hannes sich gewaltig geirrt. Aber das letzte Wort ist noch nicht gesprochen. Denn als Hannes zwischen Himmelspforte und Höllenschlund steht, ruft der Teufel:

„Hannes, du geheerscht mir!“

Awwer do saad de Hannes bloß:

„Se Leebdaach net!“,

und fliegt selig hinauf zu den Engelschören. Dort hört man ihn nun im Bass Hosianna und Halleluja singen,

„awwer uff pälzisch!“

Das hat er gleich klar gestellt beim Petrus.

„Sunscht kenne mer alle mol de Buckel runner rutsche!“

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